Wulff und kein Ende

Das neue Jahr beginnt, wie das alte aufgehört hat - mit einer nichtendenwolllenden Diskussion über den Bundespräsidenten. Auch im Niedersächsischen Landtag wird die Landesregierung beginnend mit dieser Woche nicht länger darum herum kommen, zur Aufklärung beizutragen, nachdem dies mehrere Wochen tunlichst vermieden worden ist. Und prompt hat auch die Distanzierung gegenüber dem früheren Ministerpräsidenten begonnen, der die amtierende Landesregierung selbst noch zusammengestellt hat. Mal schauen, was da auf uns zukommt.

Unabhängig von diesen (quälenden) Diskussionen geht es bei der causa Wulff im Kern um dasselbe, wie bei vielen anderen Skandalen und Affären: Um das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft. Und obwohl es unendlich viele Anlässe gegeben hat, besteht meines Erachtens Klärungsbedarf. Natürlich gibt es ein gegenseitiges Interesse an einander: Politik setzt viele Rahmenbedingungen fest, die für die Wirtschaft relevant sind. Und umgekehrt sind Unternehmen und Unternehmer häufig sehr wichtige Partner für Vorhaben, an den Politik ein großes Interesse hat. Aus meiner Praxis als Oberbürgermeister kann ich dafür viele Beispiele nennen.

Man kennt sich also und begegnet sich häufiger, aber wo sind die Grenzen? Die Gesetze, etwa das Ministergesetz oder das Strafgesetzbuch, lassen da viele Fragen offen. Natürlich ist die Annahme von Vorteilen untersagt, die wegen eines Amtes oder in Erwartung einer bestimmten Amtshandlung gewährt werden . Aber wie ist es bei dem privaten Umgang mit einander oder einer allgemeinen "Klimapflege"? Man erinnere sich an die Strafverfahren aus Anlass von Freikarten für Fußballspiele. Bei diesen, durchaus zahlreichen Fällen gibt es eine Grauzone mit sehr viel Unsicherheit für alle Beteiligten. Und weil sich niemand gerne einer entsprechenden öffentlichen Diskussion aussetzt, ist gerade derzeit eine große Unsicherheit spürbar. Unternehmer fragen sich, ob sie oder ihr Unternehmen gesellschaftliche Kontakte mit Politikern vertreten können, Politiker fürchten darüber hinaus durchaus strafrechtliche Konsequenzen. Gerade Bürgermeister haben in den vergangenen Jahren immer wieder die Folgen diffuser Strafrechtsbestimmungen zu spüren bekommen. Und diese wechselseitige Unsicherheit und Verkrampfung ist am Ende für niemanden nützlich.

Neue Gesetze versprechen da wenig Hilfe, dazu sind die jeweiligen Sachverhalte viel zu unterschiedlich. Aber vielleicht ist ein anderer Weg sinnvoll: Handreichungen von Experten, die aus eigener Erfahrung wissen, worum es geht und wovon sie sprechen. Ein Kreis von (ehemaligen) Unternehmern, (ehemaligen) Politikern, Repräsentanten aus der Gesellschaft (z. B. den Kirchen, aber auch transparency international) und den Medien, der gründlich nachdenkt und abwägt. Natürlich kann das Ergebnis nicht alle denkbaren Fallkonstellationen abdecken und natürlich auch keine gesetzesähnliche Wirkung haben. Wenn das Vorhaben aber gelingt, dann werden viele Beteiligte aus Politik und Wirtschaft dankbar sein, die alles andere als unlautere Absichten verfolgen. Sie werden ihr Verhalten daran orientieren können, ohne Risiken befürchten zu müssen. Und auch für die Auslegung unbestimmter Gesetze wäre man nicht mehr auf Gefühl und Wellenschlag angewiesen.

Ein solches Vorgehen wäre die konstruktive Reaktion auf das gegenwärtige Dilemma. Damit am Ende der Diskussion um den Bundespräsidenten vielleicht doch noch etwas anderes als nur Schrammen steht.