Wieviel Vernunft braucht der Mensch?

"Wieviel Vernunft braucht der Mensch?", so heißt das Motto des 3. Festivals der Philosophie, das am nächsten Donnerstag im hannoverschen Rathaus startet. Darauf hinzuweisen ist aber gar nicht der eigentliche Sinn dieser Begrüßung, obwohl das Programm wieder ausgesprochen anregend ausgefallen ist (www.hannover.de/initiative-wissenschaft-hannover/festival_der_philosophie/index.html). Aber das Motto selbst ist mir auch in der vergangenen Woche begegnet bei einer meiner Regionaltouren.

Unterwegs in den Landkreisen Lüchow-Dannenberg und Uelzen hatte ich nämlich auch ein Gespräch mit der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Das war sozusagen Teil 2 meiner Begegnung mit dem Erbe der Atomwirtschaft in Niedersachsen, nachdem ich vor kurzem in die Asse eingefahren bin. Und so wie die Asse ein Symbol ist für ungelöste Fragen aus der Vergangenheit ( wie holen wir gefährlichen Atommüll aus einem unsicheren Bergwerk ?) ist, so ist Gorleben ein Symbol für die ungelösten Fragen der Zukunft: Wie kommen wir zu einem sicheren Endlager für strahlenden Atommüll?

An einem Punkt war ich mir mit der BI schnell einig und es hat uns beide nicht überrascht: Gorleben kommt als Standort für ein Endlager nicht in Frage und es darf auf einer noch zu schreibenden Landkarte möglicher Endlager in Deutschland nicht auftauchen. Meine Argumentation ist dabei vergleichsweise einfach: Wenn es in ca. 35 Jahren mehr oder minder intensiver Erkundung nicht gelungen ist, die geologische Eignung von Gorleben als Endlager nach zu weisen und die fachlichen Zweifel nicht leiser, sondern lauter geworden sind, muss man die Bücher schließen. Obendrein ist in dieser unendlich langen Zeit immer wieder so viel Vertrauen zerdeppert worden, dass jede gesellschaftliche Akzeptanz fehlt. Ich freue mich, dass diese Haltung auch der SPD-Bundesparteitag im vergangenen Dezember eingenommen hat. Erstaunlicherweise tun sich die Grünen dagegen in dieser Frage sehr schwer und eiern herum (ein schöne Oster-Metapher, finde ich).

In einer anderen Frage haben mich die Vertreter der BI dagegen überrascht und nachdenklich gemacht. Sie warnen nämlich sehr davor, jetzt hektisch ein Endlagersuchgesetz zu verabschieden, mit dem ein neuer Anlauf in der unendlichen Suchgeschichte genommen werden soll. Dass wir das historische Erbe des Atommülls nicht einfach ausschlagen können, weiß auch die BI. Aber, so argumentieren sie, wenn es diesmal besser laufen soll, mußss zunächst einmal aufgearbeitet werden, was denn jahrzehntelang schief gelaufen ist. Und wie vor allem Transparenz und Beteiligung hergestellt werden können. Besser sei es, auf einer solchen Grundlage in zwei oder drei Jahren einen gut vorbereiteten Neustart zu beginnen als mit einem Schnellschuss womöglich die alten Fehler zu wiederholen.

Ich glaube, da ist etwas dran. Die Bedingungen, umstrittene Großprojekte zu realisieren, sind in den letzten Jahrzehnten bekanntlich nicht leichter geworden. Und ein Endlager für Atommüll ist nun wirklich ein Vorhaben von maximaler Komplexität. Schließlich geht es um die sichere Aufbewahrung von gefährlichem Material, die nach dem heutigen Stand der Technik Tausende von Jahren Bestand haben soll – eine Dimension, die unseren Horizont ohnedies übersteigt. Gründlichkeit vor Schnelligkeit sollte in diesem Fall ein Gebot der Vernunft sein.

Womit ich wieder beim Motto des 3. Festivals der Philosophie in Hannover wäre "Wieviel Vernunft braucht der Mensch?". In Sachen Endlager jedenfalls jede Menge.