Alle mitnehmen

Manche Erlebnisse wiederholen sich in den letzten Monaten in unschöner Regelmäßigkeit. Wenn ich Unternehmen besuche - vor allem Handwerksbetriebe - und nach dem Nachwuchs frage, sprudelt es aus meinen Gesprächspartnern nur so heraus. Gerne würde man mehr ausbilden, höre ich dann, aber geeignete Auszubildende zu finden, sei zunehmend schwer.

Nein, Olympiasieger erwarte man nicht und der Schulabschluß sei auch immer weniger wichtig, aber ein Grundwissen sei nun einmal unverzichtbar im Lesen, Schreiben und Rechnen. Und dann folgen Beispiele aus Bewerbungen, die tatsächlich haarsträubend sind.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere besteht darin, dass in Niedersachsen mehr als 35.000 junge Leute nach der Schule nicht den Sprung in die Ausbildung schaffen. Auch diese Seite kenne ich, wenn ich z.B. in Hauptschulen zu Besuch bin und dann in der Abschlußklasse frage, wie viele denn schon eine Lehrstelle hätten. Ein oder zwei Hände melden sich dann und ich schaue in frustierte Gesichter.

Wenn im Grunde jede sechste junge Mann und jede sechste junge Frau nach der Schule in einer Warteschleife landet und gleichzeitig Unternehmen zunehmend auf Nachwuchssuche sind, kann etwas nicht stimmen. Die Bedeutung der Bildung für die wirtschaftliche Entwicklung genauso wie für die gesellschaftliche Integration wird an wenigen Beispielen so deutlich wie hier. Und deswegen wird die SPD nach einem Regierungswechsel an dieser Stelle einen klaren Kurswechsel vornehmen. Alle ausbildungsfähigen jungen Leute sollen nach der Schule einen Ausbildungsplatz erhalten.

Was ist dafür notwendig? Zunächst einmal mehr Qualität in der Bildung. Frühkindliche Förderung und Ganztagsschulen tragen entscheidend dazu bei, dass Schulabgängerinnen und -abgänger den nächsten Schritt schaffen. Dazu gehört für mich auch eine Überprüfung der Lehrpläne. Wenn nach neun oder zehn Jahren Schule grundlegende Kenntnisse in den Basisfächern nicht vorhanden sind, macht mich das stutzig.

Und dann – zweitens – mehr berufliche Orientierung ab der achten Klasse. Wenn Schülerinnen und Schüler ein positives Bild von der Arbeitswelt gewinnen und auch die eigenen Neigungen besser beurteilen können, hilft ihnen das sehr nach der Schulzeit. Übrigens: Der Anteil von Ausbildungsverträgen, die im ersten Jahr gekündigt werden, ist erschreckend hoch.

Und wenn trotzdem keine Lehrstelle gefunden wird? Dann wollen wir an den Berufsfachschulen Ausbildungsplätze anbieten mit dem Ziel, dass möglichst nach dem ersten Jahr die Ausbildung in einem Betrieb fortgesetzt wird. Dafür sind Vereinbarungen mit den Ausbildungsbetrieben notwendig, damit in dem ersten Jahr die notwendigen Kenntnisse vermittelt und auch von der Wirtschaft anerkannt werden.

Das Stichwort Vereinbarungen führt zum vierten Punkt. Der Kontakt zwischen den unterschiedlichen Akteuren vor Ort muss wesentlich verbessert werden – allgemein bildende Schulen und Ausbildungsbetriebe, Berufsschulen und Job-Center müssen die jeweils besten Schritte mit einander abstimmen. Bildungsregionen sollen dafür sorgen, dass alle an einem Strang ziehen.Wir wollen alle Jugendlichen mitnehmen und dazu brauchen wir eine große

gemeinschaftliche Anstrengung. Das ist das Konzept der niedersächsischen SPD und interessanterweise hat in der letzten Woche die Bertelsmann-Stiftung ziemlich genau denselben Weg vorgeschlagen.

Ach ja, und wie soll das alles bezahlt werden? Das bisherige aufwändige Übergangssystem in Niedersachsen kostet Land und Kommunen jedes Jahr mehr als 150 Millionen Euro, ganz zu schweigen von den riesigen Summen, die eine fehlgeschlagene Bildungslaufbahn den öffentlichen Kassen in vielen Fällen später kostet. Ein effizienteres Konzept nützt nicht nur den jungen Leuten und den Betrieben, sondern vor allem auch den öffentlichen Kassen.

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