Ein Parteitag zwischen Baum und Borke

Was aus meiner letzten Woche berichtenswert ist? Ich hatte den richtigen Riecher, als ich in meiner letzten Begrüßung an dieser Stelle auf den SPD-Parteitag in Leipzig getippt hatte. Ein Jubel-Parteitag war es ganz bestimmt nicht, das konnte er nach einem enttäuschenden Ergebnis bei den Bundestagswahlen auch nicht sein.

Die Etiketten in den Medien für diese Leipziger Tage heißen vor allem "Denkzettel" und meinen damit in erster Linie die Wahlergebnisse bei den Personalentscheidungen, die allesamt unter den zuvor erzielten Werten lagen. Da kann man aber die Kirche ruhig im Dorf lassen, finde ich. Wer in einer schwierigen Situation 4/5-Mehrheiten und mehr als Votum bekommt, wie z. B. Sigmar Gabriel bei seiner Wiederwahl als Parteivorsitzender, kann das meines Erachtens als einen echten Vertrauensbeweis ansehen. Regelmäßige Ergebnisse jenseits der 90 % sind in einer Demokratie eher verdächtig, oder?

Auf der anderen Seite war die Verunsicherung bei vielen Delegierten mit den Händen zu greifen, und das ist für mich nur allzu verständlich gewesen. Dafür gibt es derzeit viel zu viele offene Fragen, die auch ein dreitägiger Parteitag nicht beantworten kann. Zum zweiten Mal hinter einander hat die Bundes-SPD nur ein mehr als mageres Wahlergebnis erzielt. Das erste 2009 galt einer Regierungspartei, das zweite 2013 einer Oppositionspartei. Was heißt das für den künftigen Kurs? Die Antwort ist wirklich eine anspruchsvolle Denksportaufgabe.

Noch ein akuter Grund der Unsicherheit: Wie geht es denn jetzt weiter bei der Regierungsbildung? Bis jetzt gibt es nur wenige Bereiche, in denen sich klare Konturen bei den Koalitionsverhandlungen abzeichnen. Das liegt an der offenkundigen Strategie der Union, die meisten wichtigen und strittigen Themen nicht in den Arbeitsgruppen einer Lösung zu zu führen, sondern auf die Schlußrunde zu setzen. Das ist riskant, denn damit wird das Endergebnis für alle Beteiligten unberechenbar. Und diese Strategie führt dazu, dass in der Zwischenzeit keine sonderlich gute Laune aufkommen kann. Der Parteitag in Leipzig war dafür das beste Beispiel.

Und schließlich: Ist der Ausgang der Koalitionsverhandlungen derzeit nicht absehbar, gilt das natürlich erst recht für den Mitgliederentscheid, den die SPD bis Mitte Dezember noch vor sich hat, wenn es in Berlin eine Einigung geben sollte. Eines hat Leipzig ganz eindeutig gezeigt: Die Mitgliedschaft der SPD wird für eine große Koalition überzeugt werden müssen, das wird kein Selbstgänger.

Unter dem Strich war es also für mich ein Parteitag zwischen Baum und Borke. Vielleicht hat er geholfen, dass manches bald klarer wird. Vielleicht ja schon in der nächsten Woche, die aber für Sie und Euch in jedem Fall eine gute Woche werden möge!