Schließlich fand dort die Schlussphase der Koalitionsverhandlungen in Berlin statt und bei meiner Abreise war das Ergebnis höchst unklar.
Bei der Rückkehr am Donnerstag sah die Situation ganz anders aus. Nicht nur, dass jetzt eine Vereinbarung zur Bildung einer Großen Koalition auf dem Tisch liegt. Geändert hat sich etwas anderes, nämlich der Ton in der innerparteilichen Diskussion der SPD. Nach dem enttäuschenden Wahlergebnis gab es eine weit verbreitete Skepsis bei vielen Mitgliedern gegen eine Regierungsbeteiligung, das war zuletzt auf dem Parteitag in Leipzig sehr deutlich spürbar. Dahinter stand oftmals die Sorge um die künftige Richtung der SPD und damit auch die Aussichten bei künftigen Wahlen.
Seitdem war ich in drei Tagen auf vier Parteiveranstaltungen zu Koalitionsvereinbarung in Alfeld, Walsrode, Lüneburg und Hannover. Auf diesen Versammlungen war ein ganz anderer Ton der Diskussion spürbar. Sicher, Begeisterung herrscht bei den SPD-Mitgliedern weiterhin nicht vor, bei mir übrigens auch nicht. Aber die konkreten Ergebnisse werden gewürdigt: Ein Mindestlohn für 8,50 Euro für alle, eine abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, gleicher Lohn für gleiche Arbeit bei der Leiharbeit und vieles andere mehr. Gerade bei den Themen, die die SPD im Wahlkampf nach vorne gestellt hatte, ist vieles durchgesetzt worden. Natürlich nicht alles und es gibt auch jede Menge Kröten zu schlucken – die Beibehaltung des Betreuungsgeldes zum Beispiel und auch die Vereinbarungen zum Thema Bildung sind meines Erachtens eher dürftig. Aber vieles andere ist eben erreicht worden, das wird in den Mitgliederversammlungen ausdrücklich anerkannt. In diesen Versammlungen mit jeweils vielen hundert SPD-Mitgliedern gab es jedenfalls am Ende immer eine klare Mehrheit für die Beteiligung der SPD an der Bundesregierung.
Und jetzt kommt es zur Entscheidung. Nicht zu der Entscheidung eines Vorsitzenden oder einiger mehr oder weniger wichtigen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, sondern aller SPD-Mitglieder. Diese 470 000 Mitglieder bestimmen in dem Mitgliederentscheid, der jetzt beginnt, und in der diese Mitglieder den deutsche Politik in den nächsten Jahren mit entscheiden. Das ist innerparteiliche Demokratie vom allerfeinsten und dank Marietta Slomka wissen jetzt noch viel mehr Deutsche, dass SPD-Mitglieder mit ihrem Beitritt auch diese Mitbestimmungsrechte haben. Ein gutes Argument für eine Eintritt, oder?
Ich werde zustimmen. Nicht dass diese Vereinbarung nicht auch ihre Schwächen hätte, aber für mich gibt einige ganz grundsätzliche Argumente:
- Haben wir das Recht, betroffenen Arbeitnehmern die Chance zu nehmen, künftig nicht mehr für Dumping-Löhne zu arbeiten? Oder künftigen Rentnern, nach einem langen Arbeitsleben die Hoffnung auf eine anständige Rente? Oder Leiharbeitern den Anspruch auf den gleichen Lohn wie der Kollege nebenan? Ich meine nein.
- Mich haben in den letzten Wochen viele Gesprächspartner aus dem Ausland darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig eine Beteiligung der SPD an der deutschen Regierung für die weitere Entwicklung eines derzeit recht instabilen Europa ist. Damit haben sie wohl recht.
- Und vielleicht am wichtigsten: Seit 150 Jahren ist die SPD eine Partei, die im Zweifel bereit war, für ihre Ziel auch kleinere Schritte zu gehen, wenn größere eben nicht möglich waren. Das gehört zum Wesen und zum Charakter dieser Partei von Anfang an, auch deswegen bin ich vor 33 Jahren einmal eingetreten und ich wünsche mir, dass meine Partei auch jetzt wieder zu sich und ihrer Art steht, Politik zu machen.
Ich bin gespannt auf den 15. Dezember. Dann habe ich Geburtstag und dann wird das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids bekannt sein. Bis dahin Ihnen und euch alles Gute und eine gute Woche!