Kristallnaach

Es gibt merkwürdige Zufälle. Am Donnerstagabend habe ich nach ganz vielen Jahren mal wieder meine alte Musikanlage aufgebaut, ich will ab jetzt immer mal wieder auch meine alten Schallplatten hören. Und es ging gleich los mit "Kristallnaach" von BAP - ein toller Song, mit dem die Kölschrocker 1982 gegen Hass, Gewalt und Ausländerfeindlichkeit angesungen haben.

Wenige Stunden später klirrten tatsächlich die Scheiben, und zwar in Salzhemmendorf. Um zwei Uhr morgens warfen die Täter einen Molotow-Cocktail in das Zimmer einer Asylbewerberin aus Simbabwe mit ihren drei Kindern. Wäre die Familie nicht gerade in einem anderen Raum gewesen, wäre die Flasche zersprungen, hätte nicht sofort ein aufmerksamer Nachbar Polizei und Feuerwehr alarmiert – es hätte Tote geben können.

Mir ist dieser Vorfall unter die Haut gegangen, nicht nur weil ich Gelegenheit hatte, mit der Mutter zu sprechen. Da kommen Menschen mit schlimmen Gewalterfahrungen nach Deutschland und was für Erfahrungen machen sie bei uns? Es ist tief beschämend.

Aber Salzhemmendorf ist nicht Heidenau, das ist noch am gleichen Tag deutlich geworden:

  • Im Ort gab es viel Erschrecken und viel Hilfsbereitschaft, das war sofort spürbar. Das war keine Eintagsfliege: In Salzhemmendorf haben sich die Bürger schon vorher sehr um die Integration von Flüchtlingen gekümmert.
  • Es gibt eine breite demokratische Öffentlichkeit, die sich wehrt gegen Fremdenfeindlichkeit. Noch am Freitagabend demonstrierten 2000 Menschen in Salzhemmendorf.
  • Und ebenfalls noch an demselben Abend meldete die Polizei eine bemerkenswerten Erfolg: Die Täter sind gefasst und geständig.

Der Vorfall ist schlimm, keine Frage, aber das sind auch ermutigende Zeichen: Mitfühlende Menschen – eine Öffentlichkeit, die die offene Gesellschaft aktiv verteidigt – ein handlungsfähiger Staat. Das sind die besten Voraussetzungen dafür, Rechtsextremismus zu bekämpfen.

Zurück zu "Kristallnaach": Muss es einen deprimieren, dass 33 Jahre später die Probleme dieselben sind? Dass es Ausländerfeindlichkeit und rechtes Denken in unserer Gesellschaft gibt, lässt sich leider nicht bestreiten. Aber gleichzeitig und nach meinem Empfinden noch stärker als vor 30 Jahren gibt es auch eine tief verankerte, breite Haltung von Mitmenschlichkeit und Engagement in unserer Gesellschaft. Das macht Mut und spornt an!