Heute ist Österreich eben eines von 29 Mitgliedsstaaten der EU, wirtschaftlich allerdings unverändert recht erfolgreich und längst nicht mit den Problemen von vielen anderen europäischen Ländern konfrontiert.
Aber irgendetwas scheint ganz anders zu sein, als zum Beispiel in Deutschland. Ich habe mich bis jetzt noch nie ernsthaft mit Wahlen für den österreichischen Bundespräsidenten befasst, dieses Mal schon. Der erste Wahlgang hat ein politisches Erdbeben ausgelöst: Sozialdemokraten und Konservative deklassiert bei jeweils 11 %, Rücktritt des Bundeskanzlers, Stichwahl zwischen einem FPÖ-Kandidaten (das entspräche bei uns wohl der AfD) und einem Grünen. Während ich diese Kolumne schreibe, steht das Ergebnis immer noch nicht fest, denn beide Kandidaten liegen so eng bei einander, dass die Briefwähler entscheiden werden, die erst einen Tag später ausgezählt werden.
Auch ohne besondere Kenntnisse der österreichischen Verhältnisse kann man daraus aber schon das eine oder andere Warnsignal auch für Deutschland ableiten, zumal Rechtspopulisten auch in Frankreich und in anderen europäischen Ländern auf dem Vormarsch sind und die Sozialdemokraten nicht nur in Deutschland derzeit deutlich schwächeln. Zum Beispiel, dass es kein Naturgesetz gibt, wonach zwei Volksparteien rechts und links der Mitte immer Mehrheiten erhalten müssen. Wenn Parteien erstarren und den Kontakt zur Gesellschaft verlieren, bekommen sie irgendwann die Quittung. Deswegen darf zum Beispiel auch die SPD schlechte Umfragewerte nicht einfach nur fatalistisch zur Kenntnis nehmen, sondern muss sich selbst und die politische Ausrichtung überprüfen. Das liegt dringend an.
Und eine andere Lehre: Es empfiehlt sich nicht, rechte Parteien rechts überholen zu wollen. Von der eigenen Haltung bleibt dann nicht viel übrig und die Wähler bevorzugen erfahrungsgemäß das Original. Die Kehrtwende bei der Flüchtlingspolitik der SPÖ von "refugees welcome" zur rigiden Grenzschließung haben die österreichischen Wähler jedenfalls offenkundig nicht honoriert. Es muss schon eine authentische Antwort der Sozialdemokratie auf die Herausforderung durch den Rechtspopulismus geben.
Die SPD hat derzeit genug vor der eigenen Hoftür zu kehren. Aber es schadet auch nicht, aus den Erfahrungen von anderen zu lernen – aus guten wie schlechten.