Heimat, die ich meine

Alexander Gauland (AfD) meint zu wissen, viele Menschen würden Jerome Boateng als Nationalspieler schätzen, aber nicht als Nachbarn haben wollen. Was ja wohl heißt: Gut genug, um für Deutschland die Fußball-Europameisterschaft zu holen, aber noch lange nicht genug, um als Mensch akzeptiert zu werden. Das ist nun wirklich einmal Rassismus pur.

Da lobe ich mir den Niedersächsischen Heimatbund, der am Wochenende seinen Niedersachsentag in Celle hatte. Dieser Dachverband von vielen Gruppen, die sich für Heimatpflege einsetzen, vertritt ein ganz anderes Verständnis von Heimat als Herr Gauland – offen, einladend, integrierend. Aber keine Frage: Bewusst oder unbewusst treibt derzeit viele Menschen die Frage um, was denn aus ihrer Heimat wird.

Ich kann das gut verstehen. Auch wenn Deutschland gut dasteht und von existentiellen Sorgen weitgehend verschont ist, befinden wir uns in einer Phase tiefer Veränderungen. Globalisierung und Digitalisierung haben die ganze Welt in atemberaubender Weise zusammenrücken lassen und inzwischen wissen wir, dass Krisen in weit entfernten Regionen auch zu uns vor die Haustür kommen können. Unter solchen Bedingungen machen sich viele Sorgen und reagieren mit Abschottung und Rückzug. Wer kennt so etwas insgeheim nicht auch von sich selbst? Aber im Ergebnis ist eine solche Haltung dennoch falsch.

Niedersachsen wird in diesem Jahr 70 Jahre alt. Das ist eigentlich keine lange Zeit, aber lange genug für viele gravierende Veränderungen. Aus einem eher unterentwickelten Agrarland ist ein wirtschaftlich sehr erfolgreiches Land geworden. Die Lebensbedingungen sind heute in Niedersachsen unter dem Strich viel besser geworden als vor sieben Jahrzehnten. Und das alles, obwohl oder weil sich die Bevölkerung rasant verändert hat, und zwar von Anfang an. Als Niedersachsen gegründet wurde, waren gerade mehr als zwei Millionen Vertriebene und Kriegsflüchtlinge aus dem Osten nach Norddeutschland gekommen, das waren mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Es mutet geradezu symbolisch an, dass der Gründungsvater von Niedersachsen, Hinrich Wilhelm Kopf, ebenfalls mit einem Flüchtlingstreck aus Schlesien nach Göttingen kam.

Und das war erst der Anfang von vielen Umbrüchen – Wolfsburg ist heute bekanntlich die zweitgrößte italienische Stadt nördlich der Alpen und wer Yared Dibaba auf Platt bei einer Moderation erlebt, traut wahlweise Augen oder Ohren nicht. Die niedersächsische Bevölkerung ist heute bunt und vielfältig. Hat es geschadet oder genützt? Im Rückblick fällt meine Antwort eindeutig aus: Niedersachsen ist viel, viel stärker geworden, gerade weil es sich nicht abgegrenzt und abgeschottet hat. Heute ist Niedersachsen die Heimat von unzähligen Menschen, deren Familien noch vor einer oder zwei Generationen ganz woanders zuhause waren.

Heimat ist also nichts Statisches, sondern nach vorne offen. Und mir wäre im übrigen Jerome Boateng als Nachbar viel lieber als Herr Gauland.