Eine kurze Nacht

Über mangelnde Abwechslung konnte ich mich in der letzten Woche mal wieder nicht beklagen: Am Montag der SPD-Konvent in Sachen CETA und am Donnerstag und Freitag Sitzungen bei Volkswagen markierten den Anfang und das Ende der Woche. Dazwischen ging es auch munter zu, am Donnerstagmorgen etwa war ich um 10 Minuten vor vier Uhr zuhause.

Das hätte mir in meiner Jugend Maienblüte nichts weiter ausgemacht, inzwischen ist es aber doch anstrengend, nach einer so kurzen Nacht den nächsten Tag konzentriert durchzuhalten. Der Grund war auch nicht etwa eine fröhliche Party, sondern eine Sitzung des Vermittlungsausschusses in Berlin.

Es ging um die Erbschaftssteuer, genauer gesagt um die Steuer bei dem Erbe von Unternehmensanteilen. Das ist ein wichtiges Thema, denn in Deutschland gibt es bekanntlich viele Familienunternehmen, die einen guten Teil des "German Mittelstand" ausmachen. Gleichzeitig ist es eine schier unendliche Geschichte, denn in den letzten zwanzig Jahren hat das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach beanstanden müssen, dass Erben großer Vermögen zu sehr begünstigt werden. Zuletzt war das vor zwei Jahren der Fall und das Gericht hat dem Gesetzgeber eine Frist gesetzt, bis wann er bitteschön das Gesetz ändern möge.

Das schien anfangs auch nicht so schwer, denn der Bundesfinanzminister machte vernünftige Vorschläge, auf die man sich im Wesentlichen hätte verständigen können, um zumindest die vom Verfassungsgericht gestellten Hausaufgaben zu machen. Dann aber kam die CSU auf die Idee, dass große Vermögen sogar noch stärker im Erbfall privilegiert werden sollten – also das glatte Gegenteil dessen, was Karlsruhe verlangt hatte. Ein Beispiel: Ohne jede nähere Begründung sollte die Erbschaftssteuer zehn Jahre lang gestundet werden, und zwar zinslos. Das wünscht sich mancher Arbeitnehmer auch, wenn er an seine Lohnsteuer denkt.

Auf unerfindliche Art und Weise gelang es den Bayern sogar, Bundesregierung und Bundestag auf diesen Kurs zu bringen. Aber nicht den Bundesrat, dessen Mehrheit (vor allem die rot-grünen Länder) nicht bereit war, eine Regelung mitzumachen, der die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn gestanden hätte. Und so landete das Thema im Vermittlungsausschuss, den das Grundgesetz für den Fall vorsieht, dass sich Bundestag und Bundesrat über ein Gesetz nicht einig sind. Auch dort schien es wieder ganz vernünftig zu beginnen: Wie bei einem solchen Spezialthema üblich, wurde eine Arbeitsgruppe der Fachleute eingerichtet. Dort hätte man sich auch einigen können – wenn nicht wieder der Freistaat Bayern alles blockiert hätte. Und so kam es zu einer langen Nacht im Vermittlungsausschuss.

Ohne eine Einigung wäre es für die Politik wirklich blamabel geworden, denn das Bundesverfassungsgericht hatte schon zu verstehen gegeben, dass die Geduld sich dort dem Ende nähere. Und siehe da – es kam auch zu einem Kompromiss im Vermittlungsausschuss. Wie bei einem Kompromiss üblich, konnte sich keine Seite vollständig durchsetzen, aber die wesentlichen Bedenken des Gerichts sind berücksichtigt und eine angemessene Besteuerung auch großer Vermögen durchgesetzt worden. Die Bewertung von Unternehmen ist jetzt deutlich realistischer, Luxusgegenstände genießen keinerlei Vorteile mehr und Stundungsbeträge werden verzinst, um nur einige Beispiele zu nennen. Alles in allem also ein deutlicher Fortschritt in Sachen Steuergerechtigkeit.

Allerdings: Das Ganze ist jetzt nicht so weit von den ersten Vorschlägen aus dem Hause Schäuble entfernt und man fragt sich ernsthaft, warum denn die ganzen Umwege bis zur schlussendlichen Einigung notwendig waren? Und ob das ganz Hin und Her dem Ansehen der Politik dienlich war? Und warum etliche Menschen von Mittwoch auf Donnerstag um einen wesentlichen Teil ihrer Nachtruhe gebracht worden sind?

Nein, ein Glanzstück war das sicher nicht. Hoffentlich bleibt wenigstens das in Erinnerung.