Als ich vor ein oder zwei Jahren das Buch von George Packer "Die Abwicklung" gelesen habe, war ich tief beeindruckt. Packer ist Journalist und schreibt für den "New Yorker". In seinem Buch beschreibt er die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft in den letzten drei bis vier Jahrzehnten und zwar aus der Sicht ganz unterschiedlicher Bürgerinnen und Bürger. Etwa ein Dutzend Lebenswege von Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus werden geschildert – Prominente und Unbekannte, Weiße und Afroamerikaner, Milliardäre und Arbeiter, kleine Unternehmer und Teile des Washingtoner Apparats. Auf diese Weise entsteht eine spannende Mischung von Sachbuch und Roman und ich habe das Buch damals kaum aus der Hand legen wollen.
Im Kern beschreibt Packer vor allem, wie die Macht riesiger Vermögen über die Jahrzehnte immer stärker vor allem der Mittelschicht ihre Grundlagen genommen hat. Am Anfang stand Walmart – jene Handelskette, deren eherner Grundsatz darin bestand, jedes einzelne Produkt billiger anzubieten als irgendein anderer Anbieter in einem bestimmten Umkreis. Die Folge war der Tod des Einzelhandels und die Verödung der Zentren in zahllosen amerikanischen Klein- und Mittelstädten. Und so geht es weiter bis zur Weltfinanzkrise 2008/ 2009, die viele tausend amerikanischen Familien um ihr Zuhause gebracht hat.
Im Ergebnis entsteht das Bild einer Gesellschaft, die jede Sicherheit und auch jedes Vertrauen in die staatlichen Institutionen verloren hat. Das gilt natürlich nicht uneingeschränkt, erklärt aber, warum "Washington" zum Feindbild eines großen Teils der Amerikaner geworden zu sein scheint und warum Donald Trump mit seiner Kampagne so viel Erfolg haben konnte, indem er sein Image als Außenseiter gepflegt hat. Dass ein Baulöwe und Milliardär auf diese Weise nicht zuletzt auch Nutzen aus einer Kapitalismuskritik ziehen konnte, ist zwar obskur, aber am Ende verständlich.
Und was lehrt uns das in Deutschland? Zum Glück sind die Verhältnisse doch sehr unterschiedlich, aber wer wollte bestreiten, dass es auch bei uns ähnliche Tendenzen gibt? Das Gefühl wachsender Ungleichheit ist auch in Deutschland vorhanden und dafür gibt es gute Gründe. Und auch bei uns stellt sich die Frage, ob der Staat in Zeiten eines grundlegenden Wandels Schutz bieten kann. Es gibt gerade in der arbeitenden Mitte unserer Gesellschaft den Wunsch nach einem starken Sozialstaat. Wenn wir es richtig anpacken, ist das die Chance der SPD.