„Nach Hause kommen“ – Interview mit Ossy Pfeiffer

Foto: Henning Scheffen

Bei  „Weil im Gespräch“ war dieses Mal der Musiker Ossy Pfeiffer. In Hannover ist er vor allem bekannt als Stadionsänger von Hannover 96. Im Interview sprach er aber nicht nur über Musik, sondern auch über seine Geschichte als Flüchtling und sein soziales Engagement.

 

Ossy, Du bist in Beirut geboren und lebst nach vielen Stationen nun in Hannover. Fühlst Du dich als Niedersachse?

Absolut! Trotz der vielen Auslandsaufenthalte ist Hannover / Niedersachsen für mich immer „nach Hause kommen“, in den Schoß der Mutter. Mein Papa stammt ja aus Hannover und hat schon sehr früh für die Familie in Isernhagen ein Heim geschaffen. Hier fühle ich mich sicher. Hier ist meine große Liebe Anca, hier sind meine Freunde, hier ist meine Band, hier ist Hannover 96.

Welche Eigenschaft schätzt du an den Niedersachsen?

Auch wenn es profan klingt, passt „sturmfest und erdverwachsen“ aus dem Niedersachsenlied wie die Faust aufs Auge. Ich schätzt die Geradlinigkeit und Direktheit der Niedersachsen. Sagen wir es mal so: „Ein Mann, ein Wort“ funktioniert hier deutlich öfter als anderswo in Deutschland oder anderen Ländern, in denen ich gelebt habe.

Was gefällt dir nicht so?

Als ich Mitte der 80er fest nach Hannover zog, habe ich eben diese Geradlinigkeit und Direktheit zunächst als Kälte empfunden. Heute kann ich das aber anders bewerten. Ganz ehrlich gibt es nichts, was mir nicht gefällt – sonst würde ich wahrscheinlich auswandern!

Deine Familie musste, wie viele andere heutzutage auch, vor Krieg flüchten.             

Leider ja, und das sogar gleich doppelt: 1976 wurde in Beirut unsere gesamte Existenz zerbombt. Meine Eltern besaßen damals eine florierende Modefirma mit Fabrikation und Boutique und einer eigenen Mode-Linie. Dann kam der Bürgerkrieg, der leider immer noch sinnlos anhält. Mit einem einzigen Koffer wurden wir auf dringendem Anraten der Deutschen Botschaft mit der letzten Maschine ausgeflogen, begleitet von Militärkonvois zum Flughafen eskortiert. Meine Mutter war damals hochschwanger mit meinem Bruder Alexander.

In Hannover kamen wir zunächst bei meinen Großeltern provisorisch unter, bis mein Vater wieder Jobs im Ausland als Berater annahm. Eine der Stationen war Bagdad / Irak, wo wir einige Zeit lebten. Dort besuchte ich die deutsche Schule, bis wir 1986 durch die Zuspitzung der Lage abermals fliehen mussten. Für mich war dann das „Jetten durch die Welt“ vorbei, zumal ja auch Schulabschluss anstand. Ich landete zunächst im Internat „Schloss Gaienhofen“ am Bodensee (tolle Zeit, viel Musik gemacht!), dann fest in Hannover.

Was hast du für Erinnerungen an deine Kindheit in Beirut, Alexandrien, Kairo, Istanbul, Valetta, Bagdad und Manila?

Meine Eltern haben meinem Bruder und mir immer ein wohliges Heim geschaffen – egal, wo wir waren! Ich war ein glückliches Kind, bin viersprachig aufgewachsen, hatte unzählige Freunde jeglicher Farbe und Religion, mit denen ich heutzutage durch die soziale Netzwerke größtenteils wieder verbunden bin. Meine Erinnerungen sind durchweg schön! Mein Papa ist auch ein toller Fotograf. Glücklicherweise gibt es tausende von Fotos, Dias und viel Super-8-Material, welches ich im Laufe der letzten Jahre digitalisiert und nach Jahren geordnet habe. Auf allen Bildern wird ehrlich gelacht, man sieht keinerlei Verbitterung oder Hass.

Wie siehst du die aktuelle Flüchtlingssituation?

Wie gesagt, am eigenen Leibe haben wir als Familie diese furchtbare Situation miterleben müssen, und es macht mich wütend, immer wieder durch Neid, Missgunst und die eigene Unzulänglichkeit absurde Aussagen hierüber zu hören. Es ist natürlich auch die Angst vor „dem Anderen“ – aber glaubt mir, wir werden ganz sicher nicht überrollt oder kolonialisiert! Was mir eher Sorgen bereitet ist, dass wir dadurch eine weltweite wachsende Welle des Rechtspopulismus haben. Vor einigen Tagen erst sprach ich mit meinem inzwischen 80 Jahre alt gewordenem Vater darüber. Er sagte wörtlich zu mir: „Ich kann es nicht fassen, dass wir 2017 den Menschen noch erklären müssen, dass Rechtsradikalismus scheiße ist!“ Keine Ahnung, wie das passiert ist – aber zurzeit gelten anscheinend Gefühle mehr als Fakten. Genau hier besteht jetzt politisch zwingend Handlungsbedarf!

 

Wie kam es dann zu deiner Gesangskarriere? Soweit ich weiß, hattest du vorher auch mal ein Modegeschäft.

Hahaha, genau! Musik mache ich schon, seit ich denken kann. Ende der 80er hatte ich allerdings gemeinsam mit meinen Eltern die großartige Idee, in Großburgwedel bei Hannover ein Modegeschäft zu eröffnen. Man musste ja „was Anständiges“ machen, und Papa wusste ja, wie es geht! Der Laden lief auch prima, nur stellte ich sehr schnell fest, dass Rock’n’Roll und das Ding irgendwie nicht zusammen passen wollten. Dann lernte ich Anca Graterol kennen, wir verliebten uns – ich zog zu ihr in die Innenstadt und sie führte mich in Hannovers Musikszene ein. Das war natürlich eine coole „Abkürzung“, war sie doch top vernetzt, kannte alles und jeden. Durch sie habe ich schnell Anschluss gefunden, wir spielten und spielen noch gemeinsam in diversen Bands. Mitte der 90er übernahm Anca das „Frida Park Studio“, wo ich seither als Musikproduzent tätig bin. Ich habe mich tatsächlich bis ca. 2010 nicht wirklich als Sänger betrachtet, ich bin Multi-Instrumentalist, der in den Jahren immer wieder mal eigene Songs skizziert hat – bis dann der Entschluss zum eigenen Projekt mit eigener Band kam.

Welche Musik hörst du eigentlich selbst gern?

Da bin ich recht vielseitig! An erster Stelle steht Johann Sebastian Bach! Grundsätzlich liebe ich gitarrenorientierte Musik, fühle mich im „Classic Rock“ zuhause. Ich bin kein wirklicher Fan einer bestimmten Band. Wenn mich aber eine wirklich geprägt und inspiriert hat, dann sind das die  Beatles. Für mich sind das die eigentlichen Erfinder der Rock- und Popmusik! In meiner Zeit im Internat war ich allerdings auch Pianist in einem Jazz Trio, denn ich liebe z.B. auch Fusionbands wie Steely Dan etc. Es gibt aber auch jüngere Bands, die großartige handgemachte Musik machen: Rival Sons ist ein gutes Beispiel. Wichtig für mich – und es ist sehr schade, dass man das heutzutage überhaupt erwähnen muss – ist, dass alles per Hand gespielt wird. Leider kaufen sich die Kids heute vermehrt nur noch Laptops, installieren Software und „feuern“ einfach ab – im Irrglauben, Musiker zu sein. Setz sie z.B. an ein Klavier oder lade sie zu einer Session ein, da kommt nur heiße Luft bis gar nichts. Der Computer ist ein sehr hilfreiches Tool live und im Tonstudio, um  Klänge und Sounds zu verwalten, die man allerdings meiner Meinung nach per Hand spielen sollte. Alles andere ist unehrlich!

Du hilfst mit deiner Musik auch bei sozialen Projekten. Wie kam es dazu?

In erster Linie unterstütze ich Anca bei ihren sozialen Projekten. Wir „ticken“ total gleich, sie ist ja auch in den 70ern vom Ceausescu-Regime in Rumänien geflohen und weiß, wie es sich anfühlt, „ohnmächtig“ zu sein. Wir geben gerne, da es uns gut geht und Hannover gut zu uns ist. Ich kann gar nicht genau sagen, wie es dazu kam. Irgendwann haben wir einfach unsere Hilfe angeboten – und damit ging es los! Vielen Dank an dieser Stelle an alle tollen Menschen, die Anca Instrumente für u.A. Flüchtlings-Musik-Workshops etc. zur Verfügung stellen!

Warum hast Du die Band „Ignore The Sign“ gegründet?

Es gibt Situationen im Leben, in denen man einen ursprünglichen Plan über den Haufen werfen und lieber dem folgen sollte, was einem das Bauchgefühl signalisiert. Es begann zunächst um 2009/10, als ich mich entschied, einige meiner eigenen Songs endlich mal auf Tonträger zu bannen. Ich fragte Anca und meine besten Freunde (zum Glück alle Musiker), ob sie mir nicht dabei helfen wollen.

Entstanden ist das Album „OSSSY – SERUM“, gefolgt von „SERUM 2,0“. Bei der zweiten CD hatte ich allerdings ein blödes Gefühl, denn wir hatten inzwischen eine feste Band, die aber immer noch so hieß wie ich. Ich bin Teamplayer – ein Bandname musste her! Einer unserer Titel heißt „Ignore The Sign“ – also haben wir uns bei uns selbst bedient. In dieser Band geht es nicht um Egos, sondern um echte Teamarbeit. Für alle Beteiligten gilt ausschließlich das Motto „It’s all about the song“. Es gibt nichts Schöneres, als mit seinen besten Freunden Musik machen zu können – und glücklicherweise sind alle auch noch unfassbar talentierte Musiker: Anca Graterol (Gitarre & Gesang), Steve Mann (Gitarre), Lars Lehmann (Bass), Kristof Hinz (Schlagzeug), Momme Boe (Percussion). Anfang 2017 hatten wir das große Glück, die Hannoveraner Plattenfirma SPV als zuverlässige Partner für uns gewinnen zu können. Das Album erscheint im Herbst dieses Jahr.

Empfindest du es als Aufgabe, deine Bekanntheit zu nutzen, um Botschaften zu vermitteln?

Das gestaltet sich schwer. Vor einiger Zeit noch habe ich soziale Netzwerke genutzt und wie so viele meinen Unmut über bestimmte Zustände preisgegeben. Immer mit einem „Zwinkerauge“ und oft leicht übertrieben in dem Glauben, dass die Info verstanden wird. Aber dem ist leider nicht so! Wie schon vorhin erwähnt gelten zurzeit scheinbar Gefühle mehr als Fakten. Ich tue Gutes, rede darüber, mache Musik – das muss und sollte reichen.

Zum Schluss noch eine Frage: Gibt es eine Gemeinsamkeit von Politik und Musik?

Als Musiker lerne ich einen Titel und rufe ihn immer wieder akkurat ab. In der Politik interessiert einen meist das „Geschwätz von gestern“ nicht. Was allerdings die Gestaltung, den Groove angeht, so finde ich die Politik schon beneidenswert! Man kann stundenlang inhaltslos das gleiche Thema variieren. Aber Spaß beiseite: Rock’n’Roll und Politik können schon miteinander. Es gibt unzählige hochkarätige Musiker, die uneigennützig viel bewegen. Dazu muss man keiner bestimmten Partei angehören, obwohl ich mich persönlich schon zu „Euch“ hingezogen fühle.

Vielen Dank für das Gespräch, Ossy!

Sehr gerne, lieber Stephan! Rock on!

 

 

Foto: Henning Scheffen