Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist Opfer eines Anschlags mit einem Nervenkampfstoff geworden, das dürfte nach den Untersuchungen in Deutschland feststehen. Ein solcher Vorgang ist widerlich und durch nichts zu rechtfertigen. Diese Feststellung alleine aber gibt natürlich keine Antwort auf die Frage: Wie sollen Deutschland und die anderen Staaten darauf reagieren? Ein Vorschlag kam postwendend und erwartungsgemäß: Jetzt müssten sofort Sanktionen folgen. Dieser Meinung bin ich ganz und gar nicht.
Sanktionen gegen Russland gibt es nämlich schon etliche Jahre wegen des Verhaltens bei der Übernahme der Krim, geändert haben sie aber nichts. Es ist auch nicht zu erwarten, dass noch mehr Sanktionen zu einem anderen Ergebnis führen würden. Mit anderen Worten – es handelt sich um stumpfes Schwert. Das ist auch nicht die erste Erfahrung dieser Art und vor allem die USA können davon berichten: Es gibt harte Sanktionen gegen den Iran, die durchaus auch zu einer katastrophalen Wirtschaftslage beigetragen haben, aber eben nicht zu einer anderen politischen Linie der Mullahs. Und die Sanktionen gegen Kuba dürften inzwischen ein halbes Jahrhundert alt sein.
Abgesehen von diesen Erfahrungen besteht übrigens auch eine auffällige Differenz im Umgang mit anderen Staaten: Die USA und China, die Türkei und Brasilien, Polen und Ungarn und viele, viele andere Staaten mehr auf der Welt bieten aus deutscher Sicht in vielerlei Hinsicht Anlass zur Kritik, vor allem in Sachen Demokratie und Menschenrechte. Wahrscheinlich ist es sogar eine Mehrheit aller Staaten, für die das gilt. Natürlich ist nicht alles miteinander vergleichbar, aber werden dort auch Sanktionen verhängt? Natürlich nicht. Wo es nämlich vorrangige wirtschaftliche oder strategische Anliegen gibt, könnten Sanktionen nur schaden. Die Politik folgt dann einer harten politisch-ökonomischen Logik, unter moralischen Gesichtspunkten allerdings nicht sonderlich glaubwürdig. Für die Forderung nach einem Stopp für die Ostsee-Pipeline North Stream II sind amerikanische Interessen an dem Verkauf von amerikanischem Gas sicher wichtiger als das Schicksal von Alexey Nawalny.
Von Egon Bahr, der die Entspannungs- und Friedenspolitik geprägt hat, stammt die Einsicht: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie und Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt“. Im Moment erleben wir dafür ein gutes Beispiel. Und von Egon Bahr kann man auch lernen, dass es am Ende keine Alternative zu beharrlichen Gesprächen gibt, wenn man wirklich Fortschritte erzielen will.
Ich wünsche Euch eine gute Woche.